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JANA WELLMANN Salon Alba - JANUAR 2021

Poesie ist gut für die Seele-
Warum wir Gedichte in unserem Leben brauchen!

 

 

“Wenn du da bist, 

Bin ich immer reich.

 

Du nimmst mich so zu dir, 

Ich sehe dein Herz sternen”

 

Else lasker-Schuler “mein Liebeslied” 

 

Ich lag im Bett und konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken in meinen Kopf, die mich wach hielten, die To Do Liste für morgen, Liegengebliebenes von heute und wiederkehrenden Grundsatzfragen: was sind meine Ziele im Leben  und warum vergeht die Zeit schon wieder so schnell. Zwischendurch die Stimme meiner Mutter Kümmer dich um deine Altersvorsorge und Hör auf mit dem Rauchen (eigentlich hatte ich  Lust auf eine Zigarette). Als ob das nicht alles schon zermürbend genug war, fühlte ich mich alleine mit meinen Gedanken, isoliert von allem. 

 

Mein Notfallplan in solchen Situationen: Fernseher an und Gedankenkarussell stoppen. 

Nicht aber in jener Nacht.

Licht an, doch anstatt die Fernbedienung, nahm ich mein altes Notizbuch und blätterte darin. Ich stolperte über diese sechs Zeilen. 

 

“Man gab mir einen Körper —Wer

Sagt mir, wozu? Er ist nur mein, nur er.

 

Die stille Freude: atmen dürfen, leben.

Wem sei der Dank dafür gegeben?

 

Ich soll der Gärtner, soll die Blume sein.

Im Kerker Welt, da bin ich nicht allein.”

 

 

Ich spürte diese Zeilen und auf eigenartige Weise halfen sie mir, zu mir zu kommen. Sie wirkten beruhigend auf mich. Das Gedankenwollknäuel entwirrte sich, die lauten Stimmen im Kopf wurden leiser und ich schrieb alles in mein altes Notizbuch: 

Die stillen Freuden: atmen, einschlafen, träumen, aufwachen, schmecken, hören, riechen, sehen. 

Man gab mir einen Köper- deshalb hinterlasse ich meine Spur. Mein Dasein ist unwiderruflich.

Wie eine Blume wachsen wir. Wie ein Gärtner erschaffen wir- geben und nehmen. 

Das Leben ist begrenzt, ist endlich, du weißt das.

Du leidest niemals allein, im “Kerker Welt” sind Gleichgesinnte. Du darfst dich an der Gemeinschaft erfreuen. Zusammen ist man weniger allein.

Die Gedichtzeilen hinterließen in mir die Essenz von Dankbarkeit und Verbundenheit. Eine Last fiel von mir ab.

Die Verse stammen vom russischen Dichters Ossip Mandelstam und sind ein Auszug aus dem imposant berührenden Gedicht “Man gab mir einen Körper”. Er schrieb es als 18jähriger im stalinistischen Russland, einer Ära der Unfreiheit, der Angst und Unterdrückung. Ich erinnerte mich, wie ich das Gedicht das erste Mal las und wie sehr es mich beeindruckte.

 

Von dem Tag an las ich jeden Abend ein Gedicht. Ich schrieb mir meine Gedanken dazu auf. Nach einiger Zeit hatte ich einen Fundus an Gedichten angesammelt. Immer wieder rief ich sie ab, sie wurden meine Stützen im Alltag, sie veränderten mein Denken. Mit ihnen gewinne ich auch heute Abstand, wenn der Stress, die Aufgaben, die Anforderungen des Lebens überhand nehmen.

 

Warum Gedichte?

 

Weil sie eine innere Schönheit besitzen, sie sind die ultimative Ästhetik der Sprache.

Gute Gedichte halten für uns die Welt an, brennen eine Loch in die Zeit. Ihre Sprache ist universell. Auch wenn du ein Gedicht von 1800 liest, wirst du mit den gleichen urmenschlichsten Problemen konfrontiert, die uns auch heute beschäftigen: Liebe und Einsamkeit, Verlust und Vergänglichkeit- im Gedicht gehen wir mit diesen Gefühlen auf produktive Art um.

Durch ihre sprachliche Verdichtung beschleunigen sie das Nachdenken oder, um es in den Worten von August Kleinzahler zu sagen: “Ein Gedicht ist das Medium, das den Menschen in kürzester Zeit wieder zu sich bringt. “ 

 

Die Berliner Lyrikern Nadja Küchenmeister sieht Gedichte so: „Alles, was in der Welt ist, hat Platz im Gedicht. Alles, was fehlt, erst recht.“ 

 

Alles was fehlt - Gedichte füllen Leerstellen, die für unser Menschsein bedeutend sind.

Sie drucken innere Vorgänge aus und erschaffen neue Gedankenräume. 

Ein gutes Gedicht besitzt eine „innere Schönheit“. Sie sind das Wurzelwerk der Sprache, und ihre Sprache, das ist die Sprache der Seele. 

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