top of page

"Wenn ich schrieb, war ich für alle Sorgen unerreichbar."

Astrid lindgren

​

JANA WELLMANN Salon Alba - JANUAR 2021

Wie schreibe ich ein Kinderbuch à la Lindgren?

5 Prinzipen

 

Wie muss ein gutes Kinderbuch sein? Es muss gut sein. Das war Astrid Lindgrens wage Antwort nach reiflicher Überlegung. Ok, schon klar und was steckt noch hinter ihren Welterfolgen? Begeben wir uns auf schwedische Schnitzeljagd durch Lindgrens literarische Kinderwelten, um das Mysterium des “guten Kinderbuches” ein wenig zu ergründen.

​

​

1. Prinzip:

Schreibe für das Kind in dir!

"Schreibe so, wie du dir das Buch wünschst, wenn du selbst ein Kind wärst.

Schreibe für das Kind in dir!"

Für das Kind in dir zu schreiben, bedeutet aus den tiefsten Bedürfnissen des Kindes zu schreiben. Der kindliche Wunsch nach Macht findet sich in der anarchistischen Pippi Langstrumpf, die autark mit Pferd und Affe am Rande der Kleinstadt lebt. Herkömmliche Machtverhältnisse setzt sie außer Kraft, sie ist lustig und jede Katastrophe verwandelt sie in ein Abenteuer. 

Oh ja, als Kind habe ich mir oft gewünscht, einmal das Sagen und die Freiheit zu haben, alles auf den Kopf zu stellen und nur Gutes zu tun, egal ob die Erwachsenen das gut finden.

Im Kontrast zu Pippi stehen die realistisch angelegten Erzählungen der Bullerbü Kinder: liebevolle Eltern, gut gewillte Kinder, idyllischen Natur, wiederkehrende Jahreszeiten und wundervolle Feste. Ein Kinderparadies aus Kinderperspektive, das die Sehnsucht nach Geborgenheit hervorruft und auf dieselbe Weise befriedigt. 

Mit “Mio, mein Mio” thematisierte sie die defizitäre Kindheit. Bo, das Waisenkind lebt vernachlässigt in der Großstadt Stockholm. Dieser Zustand ist Ausgangspunkt für die Rettung in einer Phantasiewelt-  dem Land der Ferne. Dort findet der Junge den liebenden Vater, reitet mit dem besten Freund auf dem weißen Pferd, kämpft mutig gegen das Böse. Lindgren greift kindliche Muster wie Übertreibungen, Schwindeleien, Phantasiewelten und Tagträume auf, um mit Schmerz umgehen zu können. Literarisch arbeitet sie mit diesen Instrumenten, um dem verletzten Kind seine Würde zurückzugeben.


 

2. Prinzip:

Schreibe bedeutend!

“Ich bin nicht die Spur mehr ein Experte für Kinder, weil ich Kinderbücher schreibe, Ich bin nur überzeugt davon, dass man Kinder wie Menschen behandeln sollte.”  

Auch Kinder wollen von der Kunst ergriffen werden. Sie wollen lachen, weinen und sich erschrecken- mit einem Buch geschieht das ohne Gefahr. Lindgren scheute sich nicht einmal davor, den Tod in ihren Werken aufzunehmen. 

Einer ihrer großen Welterfolge "Brüder Löwenherz" wurde auf Grund der Todesthematik und dessen fragliche Kindgerechtheit zunächst heftig kritisiert und hinterfragt. War der Sprung in das Land Nangijala die Todesphantasie des kleinen Jungen, war es der symbolische Hirntod oder gar Kindsselbstmord? Oder war es Krümels kindliche Phantasiewelt, um mit seinem Trauma umzughen? Es setzte sich schließlich das 2. Lager durch. Das Buch wurde mit Preisen überhäuft und über Lindgrens literarische Qualität von nun an nicht mehr diskutiert. Sie traute ihren Leser viel zu und das zahlte sich aus. Eltern mussten sich an die essentiellen Themen in Kinderbüchern erst gewöhnen- die Kinder keineswegs, es war genau das, was sie wollten. In einem Fanbrief an die Autorin schrieb ein Junge: “Die Brüder Löwenherz , also das ist das beste Buch, das du je geschrieben hast.”


 

3. Prinzip:

Schreibe einfach!

Einfach schreiben bedeutet noch lange nicht, banal zu schreiben. Es kann von Leben, Tod und Liebe handeln, den menschlichsten Dingen, jedoch in so schlichten Worten, dass es jedes Kind verstehen kann. Astrid setzte das Prinzip Schopenhauers um: “Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.”

Und das konnte Astrid Lindgren wie keine andere, auf einfache Weise am Wesentlichen rühren, die Dinge auf den Punkt bringen. Stilistisch bediente sie sich einer direkten Sprache, ihrer eigenen Komik und Melancholie. Wut und Angst konnte sie in Ironie auflösen. Sie glaubte daran, dass man mit Kindern über fast alles sprechen sollte und sprechen kann, es kommt nur darauf an, wie man spricht, damit sie zuhören. Alles muss einfach und klar sein. Der Text muss fließen. Schreibe um, streiche unnötige Wörter, bis der Text klingt. 


 

4. Prinzip:

Schreibe frei! 

Setze dich als Kinderbuchautor niemals unter Druck. Beschäftige dich nicht zu viel damit, wie ein gutes Kinderbuch sein sollte. 

“Denke am besten gar nicht darüber nach! Es muss Spaß machen für Kinder zu schreiben. Schreibe, was du willst und wie du willst. Schreibe frisch von der Leber weg und aus Herzenslust.”

Mit diesem Prinzip eroberte sich Lindgren ein Genre nach dem anderen. Sie führte neue Darstellungen von Kindheit ein und adaptierte literarische Erzählmuster aus der Belletristik. Sie schrieb Phantastisches und legte mit “Mio mein Mio” den Grundstein für den Fantasyroman. Der Reiseroman als humorvoll-satirischer Reisebericht erlebte mit Kati in Amerika, Paris und Italien junge Leser. Kalle Blomquist war der erste Kriminalroman für Kinder, der mit einem Mord in der Kinderliteratur ein weiteres Tabu brach. 

 

5. Prinzip

Schreibe gegensätzlich

Ihr freier Schreibstil verlieh ihren Büchern eine Multidimensionalität. Sie schrieb lustig, berührte aber auch das Innere. Ihre Geschichten bewegen sich immer zwischen Selbstbestimmung und Gemeinschaftsgeist, Melancholie und  Glückseligkeit, Wahrheit und Lüge, Realismus und Fantasie.

Facettenreichtum zeichnet Astrids literarisches Werk aus. Nie beanspruchte sie das Objektiv-Universale für sich als Schriftstellerin, nie stellte sie die einzig wahre Wahrheit dar. Sie war differenziert und vielschichtig und widersprüchlich. Verletzlich und stark, beseelt und doch betrübt. Sie ließ ihren Lesern immer ausreichend Raum zwischen den Zeilen zu deuten, eigene Gedanken und Interpretationen darin einzubetten. 

Das beste Beispiel für Gegensätzlichkeit findet man bei Pippi Langstrumpf. Sie ist stark, aber auch tragisch. Glückseligkeit und Melancholie treibt Lindgren mit Pippi Langstrumpf auf die Spitze und balanciert sie gleichzeitig wieder aus. Was bleibt, ist eine Kontroverse, die auch wir immer wieder im Leben auszugleichen versuchen. Vielleicht ist es das, was Lindgrens Werke so authentisch machen.

 

​

​

E. Hohmeister, A. Kutsch, M. Strömstedt (2000): Astrid Lindgren. Steine auf dem Küchenbord. Gedanken Erinnerungen Einfälle, Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg.

Dankert, Birgit  (2013): Astrid Lindgren: Eine lebenslange Kindheit. Lampert Schneider Verlag, Darmstadt.​

​

​

bottom of page